Archetypen

Archetypen – was sind das?

Der Begriff der Archetypen wurde vom Psychoanalytiker C. G. Jung in die wissenschaftliche Diskussion eingeführt. Unter „Archetypen“ versteht er die Inhalte des kollektiven Unbewussten. Sie stellen nach seinem Verständnis die Grundmuster instinktiven Verhaltens dar. 1

Seit 2020 durchlaufe ich das Männerprojekt der „Heldenreise des Mannes“ bei ZIPAT. In der Archetypologie bei ZIPAT werden Archetypen als „Urbilder menschlicher Denk-, Fühl- und Verhaltensmuster verstanden. Diese sind kulturübergreifende kollektive innere Bilder, nach denen die Seele reift und wächst.“ 2 Jeder der Archetypen bewegt sich in einem polaren Spannungsfeld, hat bestimmte Qualitäten und hat eine Entsprechung in einer wesentlichen Essenz (Urkraft), die den Archetyp im Kern repräsentiert.

Das Verständnis der Archetypen bildet eine wesentliche Grundlage meines Blickes auf die männliche Seele.

Die nachfolgende Beschreibung der Archetypen ist eine Zusammenfassung der Ausführungen von Andreas Schick in seinem Buch „Selbsterfahrung Mann“ 2 und eines Artikels von Walter Mauckner – Leiter des ZIPAT. 4

Der Heiler – Archetyp

Der Heiler – Archetyp umfasst das Spannungsfeld von verletzt sein und ganz sein. Entsprechende Qualitäten sind Seelentiefe, Verletzbarkeit, Offenheit, Empfindsamkeit und Empathie. Verzerrungen des Heiler-Archetyps können Opfertum, Selbstmitleid, Resignation oder eine übertriebene Fürsorge (Helfersyndrom) sein. Der Essenzaspekt des archetypischen Heilers ist das Mitgefühl.

Heiler - Archetyp

Seelische Verletzungen und die daraus resultierende Wunde gehören zum Menschsein. Jeder Mensch wird im Laufe seines Lebens verletzt. Die Verletzungen, die wir in unserer frühen Kindheit erfahren haben, wirken am nachhaltigsten und beeinflussen maßgeblich die Entwicklung unserer Persönlichkeitsstruktur. Sie prägen das Denken, Fühlen und Verhalten und können die Entwicklung zu einer freien Persönlichkeit hemmen. Werden wir unserer Verletzungen bewusst, fördern sie unser Mitgefühl und können Motor für die persönliche Entwicklung sein. Voraussetzung dafür ist, sich die Wunde anzuschauen, sie kennenzulernen und die mit ihr verbundenen Gefühle wie Wut, Trauer, Schmerz und Angst wahr- und anzunehmen. Es geht bei der Begegnung mit den Verletzungen nicht in erster Linie darum, sie schnell zu heilen und weg zu machen. Das schnelle Heilen-Wollen geht im Kern an der Wirklichkeit vorbei und erfasst nicht das Mysterium der Wunde“. 4 Es geht darum, die Wunde zu spüren, an dieser Stelle zu „bleiben“ und nicht mehr – wie gewohnt – sie zu vermeiden.

In Abwandlung des berühmten Satzes „ein Indianer kennt keinen Schmerz“ könnte man auch sagen „Ein Indianer kennt seinen Schmerz gut, darum kann er angemessen mit ihm umgehen.“ 4 Um in die eigene Kraft zu kommen, ist es ein unverzichtbarer Schritt, die eigene Wunde anzuerkennen und Mitgefühl mit sich selbst zu entwickeln. Das ermöglicht auch Mitgefühl für unsere ebenfalls verletzten Mitmenschen – die Basis für authentischen Kontakt und wahrhaftige Begegnungen.

Der Vater – Archetyp

Das Spannungsfeld des Vater – Archetypen bewegt sich zwischen Unterstützung/Stärkung und Herausforderung/Bedrohung. Die Essenz dieses Archetyps ist unterstützende Stärke.

Der Archetyp des Vaters ist wie alle Archetypen polar angelegt. Im Erleben des Mannes entfaltet die Polarität dieses Archetyps eine besondere Dynamik. Erst, wenn ein Mann beide Pole des eigenen Vaters integriert hat, kann sich die Essenz dieses Archetyps voll entfalten.

Vater - Archetyp

Robert Bly spricht vom doppelten Strom des inneren Vaters, dem der Sohn begegnet. Auf der einen Seite sind das stärkende, nährende und unterstützende Anteile, andererseits hat der Vater eine dunkle, gefährliche und zerstörerische Seite. Ein Mann muss sich für diese unterschiedlichen Anteile im Inneren zwei Räume schaffen. „Wenn wir noch keine zwei Räume in unserer Seele vorbereitet haben, können wir nicht erwarten, dass unser Vater, ob er noch lebt oder schon tot ist, dort einzieht.“ 3

„Es geht nicht darum, dem Vater zu „verzeihen“, sondern ihn gegebenenfalls in seiner Schuld sowie in seinem Schicksal zu achten. Das ist oft ein sehr bewegender Prozess, und ein Mann findet nur zu seiner Identität und Stärke und kann sich der unterstützenden Seite des Vaters oft erst dann öffnen, wenn er mit seinem Vater und seinen männlichen Ahnen versöhnt ist. Sein Vater ist die Herausforderung und auch die Brücke dazu. Diesen Schritt auf der Heldenreise nennen wir die Initiation in die primäre (ursprüngliche) Vaterwirklichkeit.“ 4

Der Krieger – Archetyp

Der Krieger – Archetyp bewegt sich im Spannungsfeld zwischen Aggression und Hingabe. Seine Qualitäten sind Entscheidungskraft, Konfliktfähigkeit, Respekt, Disziplin, Kontakt und Hingabe. Die Schattenseiten des Krieger – Archetypen sind destruktive Gewalt, Starrsinn und blinder Gehorsam. Um sich diesen Schattenseiten zu stellen, braucht es einen vertrauensvollen und geschützten Rahmen.

Die Essenz dieses Archetyps ist der Wille und die Entschlossenheit. Der kindliche Wille ist rücksichtslos und nur auf die eigene Bedürfnisbefriedigung bezogen. Der reife Wille bezieht hingegen auch das Wohl des Gegenübers mit ein.

Krieger - Archetyp

Beim Krieger – Archetyp geht es um die Qualitäten von Entschlossenheit und Zielgerichtetheit. „Ein Mann, der unbeirrt seinen Weg mit einer klaren, gerichteten Kraft geht, wird jedoch auch erkennen, dass diese Kraft allein nicht ausreicht, seine Ziele zu erreichen. Ohne Hingabe an den Lebensfluss, an den „größeren Willen“, würde er verhärten oder sich im Lebenskampf aufreiben.“ 4 Der gereifte Krieger ist daher in Kontakt mit einem Willen, der direkt aus der Quelle der Seele – der Essenz – kommt und deshalb dem Wohl des Ganzen dient.

Wenn ein Mann den inneren Krieger gut ausgebildet hat, kann er seine Grenzen verteidigen, ohne dabei überzogen zu reagieren und andere zu verletzen.

Folgende Sätze beschreiben das Wesen des Krieger – Archetyps:

  • Ohne Schwert kein Eros 4
  • Das innere Kriegertum entspricht der Wachheit unserer Seele 4
  • Ein Mann, der sein Schwert nicht zieht, bekommt nur gute Noten für Freundlichkeit 4
  • Die Kunst des Kriegers ist, das Wunder, ein Mensch zu sein und den Schrecken, ein Mensch zu sein, miteinander im Gleichgewicht zu halten (Castaneda)

Der Wilde-Mann – Archetyp

Der Wilde Mann – Archetyp bewegt sich zwischen den Polen von Autonomie und Nähe. Seine Essenz ist Freiheit und Wildheit. Der integrierte Wilde Mann – Archetyp steht für die reife Form männlicher Unabhängigkeit. Es geht um den Kontakt zu Qualitäten wie Erdverbundenheit, Wildheit, eine gesunde Risikobereitschaft und Unangepasstheit. Frei sein, bzw. wild sein bedeutet nicht unbedingt, sich extrovertiert in diesen Energien zu bewegen. Essenzielle Freiheit und Wildheit kann auch ganz im Inneren, in inneren Körpergefühlen und Bewegungen erfahren werden.

Wilder Mann - Archetyp

Voraussetzung für die reife Form der Freiheit ist, dass der Mann einen guten Kontakt zu seiner Wunde gefunden und diese integriert hat. „Ohne Kontakt zur Verletzung ist unser Streben nach Unabhängigkeit und Freiheit oft nur ein hilfloser kindlicher Versuch, der an der Oberfläche verhaftet bleibt.“ 4

Die Auseinandersetzung mit dem Wilde Mann – Archetyp bringt „Mann“ zu der Frage, in welchen Abhängigkeiten er lebt. Wo sind Abhängigkeiten von materiellen oder immateriellen Dingen? Wo sind wir unfrei? Wo hängen wir ab von z.B. Suchtmitteln, Beziehungen, Essen, Sexualität oder Medienkonsum? Ein reifer Wilder Mann ist sich dieser Abhängigkeiten bewusst. Es gilt, diese Wirklichkeit mitfühlend anzunehmen und die alte Gewohnheit zu unterbrechen.

Es geht um die Frage, ob ein Mann frei ist, alleine sein zu können, oder ob er immer etwas oder jemanden braucht, um zufrieden zu sein. „Ein Mann, der nicht allein sein kann, kann auch nicht frei sein. Ein Mann, der nicht frei ist, kann sich auch nicht trennen. Ein Mann, der sich nicht trennen kann, kann sich nicht verbinden, er kann keine verbindliche und reife Beziehung eingehen. Nur ein freier Mann kann sich wirklich binden. Nur ein freier Mann kann wirklich lieben.“ 4

Ein wesentlicher Aspekt des Wilder Mann – Archetyps ist die Frage nach der Beziehung zur eigenen Mutter bzw. die Frage nach der Abhängigkeit vom Weiblichen. Der Prozess, sich vom weiblich-mütterlichen Schoß abzunabeln, ist für viele Männer eine große Herausforderung. Hier geht es um die Initiation des Mannes in den Kreis der Männer – im vollen Respekt gegenüber dem Weiblichen. Die Neugeburt in den Kreis der Männer ist ein wichtiger Schritt bei der Loslösung von der Abhängigkeit vom mütterlich-weiblichen. Dieser Schritt stärkt „Mann“, frei gewählte Beziehungen einzugehen und Partnerschaft und Intimität zu leben.

Der Liebhaber – Archetyp

Das Spannungsfeld des Liebhabers liegt zwischen Individualität und Verschmelzung. Im alltäglichen Sprachgebrauch bezieht sich der Begriff Liebhaber meist auf den lustvollen und leidenschaftlichen Aspekt der Sexualität. Der Archetyp lässt sich jedoch auch als den „Liebenden“ benennen.

Der Liebende umfasst alles, wofür der Mann brennt, woran er Freude empfindet, wofür er sich begeistert, womit er sich verbinden und verschmelzen will. Die Qualitäten des Liebhabers sind somit Leidenschaft, Sexualität, Sinnlichkeit, Begeisterungsfähigkeit und Ekstase/Verschmelzung. Bei der Verschmelzung mit dem, was die Begeisterung ausmacht, lösen sich die Grenzen des Ich auf. Dies kann z.B. in der Begegnung mit einer Frau, der Natur, der Musik, der Kunst, einem Handwerk, der Literatur, einem Tanz oder in der Begegnung mit sich selbst in der Intimität des Alleinseins geschehen. Der Liebhaber will berühren und berührt werden und einen genussvollen Kontakt mit der Welt herstellen.

Liebhaber - Archetyp

„Der Schattenaspekt des Liebenden ist der „Süchtige“. Es ist der süchtige Liebhaber im Mann, der von einer Befriedigung zur nächsten strebt, wie ein Nimmersatt in weltlichen, stofflichen oder auch spirituellen Genüssen. Oder stets auf der Suche nach sexueller oder emotionaler Erfüllung und nach Beachtung durch andere. Ein Mann auf der Heldenreise wird hier aufgefordert, sein süchtiges Verhalten zu erforschen und auszunüchtern, um zum Wesen seiner eigenen Leidenschaft vorzudringen.“ 4 Der reife Liebhaber kann sich gegen die gierigen Impulse durchsetzen. Wenn er eine schöne Frau oder ein opulentes Buffet sieht, kann er den Impuls des Begehrens wahrnehmen, ohne ihn ausleben zu müssen. Er kann die Lust in sich wahrnehmen und im Inneren zirkulieren und vibrieren lassen, ohne sie auszuagieren.

Der Mystiker – Archetyp

Der Mystiker – Archetyp umfasst das Spannungsfeld von Wissen und Nicht-Wissen. Seine Essenz ist die innere Wahrheit und der innere Frieden.

Die größte Frage des Mystikers ist die nach dem Wesen, das wir hinter der äußeren Form, hinter der vordergründigen Struktur sind. Wer sind wir in der Tiefe wirklich – jenseits der Konzepte dessen, was wir bisher meinen oder glauben, zu sein?

Mystiker - Archetyp

Die Bewegung des Mystikers geht weg vom Bekannten – hin zum Nicht-Wissen. Der Mystiker gelangt dabei immer wieder an eine Schwelle – der Lücke. An dieser Schwelle enden alle bisher bekannten Konzepte und er betritt die Leere – einen Raum jenseits von Gedanken und Strukturen. Der Mystiker verlässt die Ebene der Strukturen und Formen und kommt in Kontakt mit dem Formlosen. Im Kontakt mit der großen Leere endet die Ich-Struktur. „Diese löst sich auf in den Augenblick, denn der Kontakt zur großen Leere kann nur im Jetzt stattfinden. Jenseits aller Formen gibt es keine Vergangenheit und keine Zukunft und auch kein Ich mehr.“ ² Dabei wird auch eine Erfahrung des sich-Auflösens und der Verbindung mit dem all-Umfassenden möglich. „Im Kontakt zum Unmanifesten zeigen sich hingegen eher Erfahrungen des es geschieht ohne mich. Auf der großen Leinwand der reinen Präsenz passiert dann einfach, was passiert, und das ist das große Mysterium.“ 4 Dabei geht es nicht darum, etwas zu tun oder aktiv zu sein, um das Mysterium erfahrbar zu machen. Es geht mehr um eine Bewegung der Hingabe und des sich-Öffnens. Das Mysterium des reinen Seins wohnt bereits in uns allen inne. Um es erfahrbar zu machen, muss der Mann bereit sein, einen Prozess zu durchlaufen, bei dem sich das Ich und die bekannten Strukturen mehr und mehr auflösen – die größte Herausforderung bei der Bewegung des Mystikers.

„Der Aspekt des Mystikers ermöglicht es dem Mann auch, das Seelenbild der Heldenreise sowie die verschiedenen Weisheitslehren und Religionen tiefer zu verstehen. Er erkennt, dass es auf der tieferen Ebene des Seins keine Trennung gibt, sondern alles mit allem in einem größeren Ganzen verbunden ist.“ 4

Der König – Archetyp

Das essenzielle Thema des König – Archetyps ist das Wert-sein. Dabei geht es nicht darum, etwas zu tun oder zu leisten, um etwas wert zu sein. Der Wert, der uns allen innewohnt, ist bereits von Geburt an vorhanden. Diese Sicht auf das Thema erscheint in unserem westlichen Kulturkreis, in dem wir uns den eigenen Wert mit Hilfe bestimmter Eigenschaften und Leistungen erwerben müssen, ungewohnt. Das hier gemeinte Wert-sein ist unabhängig von äußeren Werten wie Besitz, anderen Errungenschaften oder all unseren guten Taten. „Weder können wir dem etwas hinzufügen noch wegnehmen. Wer zu erreichen sucht, was bereits vorhanden ist, scheitert!“ 4

König - Archetyp

Beim König-Archetyp geht es um die Frage, was unser Ureigenes ist. Was macht mein ureigenes Wert-sein im Kern aus? Das ganz Ureigene ist dabei ein sehr persönlicher Aspekt. Den Zugang zum Ureigenen finden wir dabei wiederum nicht durch Aktion und Handeln, sondern durch Innehalten und hören auf die innere Führung. Dem König – Archetyp obliegt dann die Verantwortung dafür, das Ureigene umzusetzen und es in die Welt zu bringen. Dabei geht es auch darum, sich in den Dienst dieser Sache zu stellen. Hier zeigt sich das Spannungsfeld des König – Archetyps. Es umfasst die Spannung zwischen Führerschaft und Dienst. Führerschaft bedeutet für den König – Archetyp in erster Linie, die Führung und Verantwortung für sein eigenes Leben zu übernehmen. Es geht darum, in das Ureigene zu vertrauen und darum, dieses Ureigene in die Welt zu bringen. Dadurch kann das, was die ureigene Qualität ausmacht, in den Dienst des Großen Ganzen gestellt werden. „Dem Ureigenen zu folgen, ist also kein Egoismus, sondern ein großer Dienst an der Gemeinschaft.“ 2

Ein Mann mit Kontakt zum König – Archetyp vereint die Essenzen von allen Archetypen in sich. „Er weiß um seine eigene Verletzung bzw. Verletzlichkeit, wie auch um die anderer und bleibt dadurch geerdet und mitfühlend (Heiler). Er ist frei und mutig, um auch Unkonventionelles zu tun und Risiko zu tragen (Wilder Mann). Er kann Entscheidungen treffen und klare Grenzen setzen und befindet sich in guter Balance zwischen gesunder Aggressivität und Hingabe/Loslassen (Krieger). Er hat verstanden, was Liebe und Leidenschaft für ihn bedeutet und bringt dies in seinem Leben zum Ausdruck (Liebender/Liebhaber). Er hat eine vertiefte Wahrnehmung von Wesen und Sein und erkennt die größere Wirklichkeit hinter den äußeren Erscheinungen (Mystiker). Er hat Kontakt zu seinem Wert – Sein und ist bereit, Führerschaft und Verantwortung für sein eigenes Leben sowie für die Gemeinschaft zu übernehmen (König).“ 4

Literatur

1: Jung, CG.: Archetypen, dtb, 1993

2: Schick, A.: Selbsterfahrung Mann, Springer, 2015

3: Bly, R.: Eisenhans. Ein Buch über Männer, Knaur, München, 1993

4: Mauckner, W. Die Heldenreise des Mannes, online, 2016